Die fantastische Welt des Hannes Schmid

Page 1

12

Tages-Anzeiger – 6. Dezember 2014

13

Tages-Anzeiger – 6. Dezember 2014

Auf der visuellen Überholspur Hannes Schmid ist Künstler, Fotograf und Philanthrop. Der einstige Geissenbub aus dem Toggenburg ist zum Star geworden.

Von Thomas Borowski

E

Die fantastische Welt des Hannes Schmid

HANNES SCHMID

r ist für sein Alter verdammt schnell unterwegs. Auf grellfarbenen Sneakern springt Hannes Schmid federnd durch sein Atelier in Zürich-Nord, beantwortet hier noch eine Frage aus seinem Mitarbeiterstab, packt da noch was in seine Tasche und ist im nächsten Moment schon aus der Tür entschwunden. Man muss sich sputen, will man bei ihm den Anschluss nicht verlieren. Endlich gemeinsam am Mittagstisch sitzend, verwundert es nicht, dass sich der 68-Jährige mit der charakteristischen Kurzhaarfrisur und der weichen Stimme eine so drahtige Sportlerfigur erhalten hat. Die Suppe lässt Hannes Schmid unbeachtet kalt werden, denn bereits ist er eifrig mitten in der Erzählung seines Lebens – und das hat unendlich viele Kapitel, die auf allen Kontinenten dieser Erde geschrieben wurden. Heute Zürich, morgen London, New York, Peking, Kambodscha und immer wieder zurück in die Schweiz. «Ich lebe sehr intensiv und mache alles 5000 Prozent», sagt Hannes Schmid – und wirkt dabei so energiegeladen, als ob er immer noch der kleine Junge sei, der seiner Mutter zur Hand ging.

Der 1946 in Zürich geborene Hannes Schmid zählt heute zu den bedeutendsten Fotokünstlern der Schweiz. Langjährige Reisen führten ihn rund um den Globus, wo er als Werbe-, Mode- und freier Fotograf seine charakteristische Bildsprache entwickelte, die durch persönliche Bindungen zum Objekt geprägt sind. Weltruhm erlangte Hannes Schmid mit seiner Inszenierung des ikonischen Cowboys – des Marlboro Man. Legendär sind auch seine über 70 000 Fotos der grössten Rockstars. In neuerer Zeit macht Hannes Schmid auch mit fotorealistischer Malerei und Objektkunst bei international beachteten Ausstellungen auf sich aufmerksam. Und seit 2012 engagiert er sich mit dem gemeinnützigen Verein Smiling Gecko (www.smilinggecko.ch) karitativ für die wenig begüterte Bevölkerung in Kambodscha. www.hannesschmid.ch

«Mich hat iMMer die Gesellschaft fasziniert» «Meine Mutter war Marktfahrerin für Heimberger Chacheli, also Berner Bauernkeramik, und so bin ich als Geissenbub praktisch auf Jahrmärkten aufgewachsen», fährt Schmid ohne Bedauern in der Stimme fort. Denn in jenen Jahren des einfachen Lebens habe er etwas sehr Wichtiges gelernt: mit Menschen zu sprechen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Seine Jugend sei sehr prägend gewesen, «weil sich bei mir dazumal der Drang entwickelte, alles zu hinterfragen und nie etwas für gegeben anzunehmen». Diese Getriebenheit führte ihn nach einer Elektrikerlehre mit 24 Jahren erstmals ins Ausland. Ein deutsches Fernmeldeunternehmen engagierte Hannes Schmid als Facharbeiter nach Südafrika. Mit seinem ersten Lohn kaufte er sich aus Neugier eine Fotokamera – ein Kauf, der sein Leben grundlegend verändern sollte. «Die kleine schwarze Kiste hat mich neutralisiert, ich war mit dieser Kamera jemand.» Und dieser Jemand fotografierte alles, was ihm vor die Linse kam. Den Job hängte er bald an den Nagel und reiste fotografierend vier Jahre kreuz und quer durch Afrika, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und schickte die Filmrollen in die Schweiz. Als er zurück in der

Selfie: Hannes Schmid

Fotograf und Künstler Hannes Schmid: «Ich lebe sehr intensiv und mache alles 5000 Prozent.»

Heimat seine Bilder erstmals sah, war er masslos enttäuscht. «Die vielen zu dunklen Fotos haben mir gezeigt, dass ich bis dahin nicht begriffen hatte, dass es für ein gutes Bild das perfekte Licht braucht.» Licht spielte in seiner Fotografie zukünftig eine wichtige Rolle. Die besten Voraussetzungen dazu fand er die nächsten vier Jahre in Südostasien. Eine Reise führte Hannes Schmid alleine in den Urwald von West-Neuguinea, um auf eigene Faust den 1961 verschollenen Rockefeller-Sohn Michael zu suchen. Anstatt den Millionärserben entdeckte er die Schönheit der Eingeborenen. Trotzdem behauptet Schmid von sich: «Ich war nie ein Abenteurer, ich habe mich immer bis ins letzte Detail auf meine Reisen vorbereitet.» Diese Akribie wurde später zu seinem Markenzeichen, als er für Toplabels aufwendigste Aufnahmen im Schnee des Kilimandscharo, im Dschungel von Borneo oder auf dem Titicacasee in Bolivien realisierte oder später mehrere Jahre die Camel-Abenteuertrophy als Foto-

graf begleitete. «Fotografie ist Licht – und ich habe das Licht in den Griff bekommen!» Während andere 31-Jährige damit begannen, Familien zu gründen, folgte Schmid 1977 der Einladung zu einem Status-Quo-Konzert, wo er zum Essen mit der Band geladen wurde. Als der Manager erklärte, dass Schmid ein verrückter Schwei-

zer sei, der mit Kannibalen gelebt und auf Reisen Ratten und Mäuse gegessen hatte, war er bei den Rockstars akzeptiert und durfte sie in ihren privatesten Momenten ablichten. Die Reise mit Status Quo sei der Startschuss für eine siebenjährige Odyssee gewesen, auf der Schmid zum fotografierenden Bestandteil der Rockwelt wurde. Freddie Mercu-

ry, Bob Marley, Meat Loaf, AC/DC, Bob Geldof und viele mehr: Hannes Schmid begleitete sie hautnah und sah hinter verschlossene Türen. Und wenn es sein musste, lehrte er Stars wie die Mitglieder der Popgruppe Abba im Toggenburg auch das Skifahren. Das Resultat dieser Schaffensperiode: Über 70 000 überwältigende Bilder als Zeitzeugen – Schmid nennt sie kokett «Familienföteli» –, die bis heute einmalig sind. Trotz aller Nähe zu den Stars, Sex, Drugs and Rock’n’Roll, blieb er selbst auf dem Boden der Realität. «Ich war nie ein Fan der Musik, mich hat immer die Gesellschaft fasziniert.» Dank seines fein entwickelten Menschengespürs avancierte er zum fotografierenden Künstler. Bestes Beispiel dafür: sein MarlboroCowboy. Der wurde zur Ikone der nordamerikanischen Gesellschaft, was Schmid heute noch fasziniert. Die Macht der Bilderwelt und ihrer Suggestion sei einmalig. Er wehre sich aber dagegen, wie andere berühmte Fotografen immer im gleichen Stil arbeiten zu müssen, das sei Repetition von der Repetition von der Repetition und langweile ihn. Viel eher wolle er seine Schaffenskraft über die Norm hinaus einsetzen: «Nur wenn ich agil bleibe und mich mit dem auseinandersetze und hinterfrage, was rund um mich geschieht, kann ich daraus zeitgenössische Kunst werden lassen.» Diese Denk- und Arbeitsweise zeigt sein neustes Werk Momentous, das Fotografie, Objektkunst und soziale Medien im grossen Stil vereint. Und es macht noch etwas deutlich: Hannes Schmid hat sich die Getriebenheit aus seiner Jugend bis heute erhalten – in seiner Schaffenskraft und ganz tief in seinem Herzen.

.

Weltruhm mit Cowboys: Marlboro Man von Hannes Schmid.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.