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Georg Blume

Besuch in Berlin Macrons Liebeserklärung an Deutschland

"Frankreich liebt Sie": Vor dem Bundestag hat Präsident Macron den Deutschen einen Heiratsantrag gemacht. Das war kein sentimentaler Ausrutscher - sondern ein Angebot, das man nur einmal im Leben bekommt.
Angela Merkel, Emmanuel Macron

Angela Merkel, Emmanuel Macron

Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS

Gut möglich, dass die historische Rede in Deutschland unverstanden bleibt. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sie gehalten, zum Volkstrauertag, vor dem Deutschen Bundestag. Bis zum letzten Satz schien er nichts wirklich Neues zu sagen. Was man bei einem stark ritualisierten Ereignis wie dem Volkstrauertag auch nicht erwartet.

Aber dann, mit einem Satz, ging Macron plötzlich aufs Ganze. Er wagte etwas, was vor ihm allenfalls Schriftsteller und Gelehrte vermochten. Er erklärte die Liebe Frankreichs zu Deutschland. Als Staatsoberhaupt machte er Deutschland im Namen Frankreichs eine Liebeserklärung. Es ging ihm nicht um Verständnis, nicht um Vertrauen, nicht um Solidarität, nein, um Liebe. Er schloss mit dem Satz: "Wenn Sie die Worte aus Frankreich nicht verstehen, denken Sie daran, dass Frankreich Sie liebt".

Viele werden über den Satz hinweggehen, als gehöre er nicht an diese Stelle. Was hat Politik, was hat das Verhältnis zwischen Staaten und Völkern mit Liebe zu tun? Schon der Begriff der Völkerfreundschaft stammt in Deutschland aus dem Vokabular des Utopisten Karl Marx, durch dessen Schriften er bei uns weite Verbreitung fand. Aber wer hat je an die Völkerfreundschaft geglaubt? Und jetzt will uns Macron auch noch von der Liebe der Völker erzählen? Naja, man weiß ja, dass die Franzosen ihre ganz eigene, nicht besonders zuverlässige Auffassung von Liebe haben, mögen viele Deutsche gedacht haben, die Macron an diesem Sonntag zuhörten.

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Volkstrauertag in Berlin: Macron fordert mehr Eigenständigkeit für Europa

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP

Doch man würde ihm damit nicht gerecht. Er meint es ernst. Für ihn gehört Liebe auch in die Politik. Mit seinem sehr umfassenden, sehr französischen Begriff von Liebe und Politik will er das Allerwertvollste der in Geist und Seele empfundenen Dinge ausdrücken, etwas, das aus Vernunft und Gefühl gleichermaßen herrührt. Wir Deutschen sind dagegen eher gewohnt, Vernunft und Gefühl in der Politik voneinander zu trennen. Gefühl gehört für uns in der Regel woanders hin.

Deutschlands größter lebender Denker, der Philosoph Jürgen Habermas, ist bekannt für sein Durchdringen dessen, was demokratisch und vernünftig ist. Aber er ist nicht bekannt für seine Frau, deren Liebe zu ihm sein Denken bis heute erst ermöglicht. Ganz anders Frankreichs größter Nachkriegsdenker Jean-Paul Sartre: Von ihm bleibt, mehr noch als viele Theorien, seine große Liebe zur Feministin Simone de Beauvoir in Erinnerung. Kein seriöser Geisteshistoriker aber kann bis heute sagen, wer weltweit einflussreicher ist: Sartre oder Habermas? Prägt Liebe also die Philosophie oder nicht?

Genauso offen ist die Frage, was Liebe in der Politik zu suchen hat. Wir wissen jedoch, dass Franzosen mit diesem Begriff, gerade was das deutsch-französische Verhältnis betrifft, ganz anders umgehen. Laut der sinngemäß richtigen Simultanübersetzung im Deutschen Bundestag sprach Macron ständig vom "deutsch-französischen Gespann", wörtlich aus dem Französischen übersetzt aber hätte es heißen müssen: "das deutsch-französische Paar". Ein Gespann kann sich nicht lieben, ein Paar schon.

Im Video: Macron in Berlin

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"Das deutsch-französische Paar hat die Pflicht und die Verantwortung, die Welt nicht weiter ins Chaos abgleiten zu lassen", sagte Macron zum Bundestag. Er spielte da ein wenig die Rolle eines Freiers, der den Eltern seiner erhofften Braut erklärt, warum sowohl bei bester Vernunft als auch bei bestem Glauben kein Weg an der Hochzeit vorbeiführt.

Er gab also die von ihm bekannten, guten Argumente für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin zum Besten. Er nannte sein bewährtes Schlagwort, das längst auch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Munde führt: "Europäische Souveränität". Doch er musste ja auch erklären, warum alles bisher nicht so richtig vorankommt. Warum die Achse Berlin-Paris gefühlt seit Monaten, wenn nicht seit Jahren stillsteht. Warum das Europa, das er und Merkel verkörpern, so oft ungeliebt bleibt?

Seine Antwort aber war die französische Liebeserklärung an Deutschland. Sie soll klarmachen: Frankreich ist bereit. Frankreich will das Leben mit Deutschland teilen, nicht nur den Markt. Frankreich will den Haushalt mit Deutschland teilen, die Armee, die Steuern, die Universitäten. Das kann nicht immer nur vernünftig sein. Es bedarf der Liebe, um den politischen Willen dafür aufzubringen.

Deutschland muss sich auf Macrons Liebeserklärung einlassen

Und doch hatte die schöne Rede Macrons einen Haken. Wer die deutsch-französische Geschichte etwas besser kennt, weiß noch, wie Macrons berühmtester Vorgänger, General Charles de Gaulle, im Mai 1968 aus Paris nach Baden-Baden entflog, weil ihm daheim der Generalstreik von Studenten und Arbeitern drohte.

Dieses Mal sah es so aus, als flöge Macron nach Berlin, um vor den Protesten der sogenannten Gelbwesten zu fliehen, die in Frankreich das ganze Wochenende lang den Verkehr lahmlegten und damit gegen die Steuerpolitik ihres Präsidenten demonstrierten. 1968 überlebte de Gaulle die Streiks nicht lange. Kommt Macrons Liebeserklärung also zu spät? Ist sie mehr sein eigenes Bekenntnis als das der Franzosen, die lieber demonstrieren und auf die Völkerliebe pfeifen?

So könnte es kommen, wenn Deutschland Macron nicht versteht. Eine Liebeserklärung ist immer auch eine Beichte, sie lässt die eigenen Schwächen erkennen. Bleibt eine Erwiderung aus, wiederholt man sie in der Regel nicht. Gerade jetzt hat Deutschland also eine unglaubliche Chance. Sie wird schnell vergehen. Noch aber gilt das Wort Macrons. Noch hat er trotz aller aufkeimenden Kritik viel Unterstützung bei den eigenen Leuten.

Vielleicht wird es Zeit, dass die Deutschen politisch lieben lernen und sich auf Macrons Liebeserklärung einlassen.