Zu dick, zu dünn, zu weiblich? Body-Shaming im Reitsport

Jeder darf über seinen eigenen Körper entschieden – in der Theorie würden diesen Satz alle unterschreiben. In der Praxis muss man jedoch damit rechnen, dass jeder, der nicht der Norm entspricht, abwertende Kommentare erhalten könnte. Doch was ist eigentlich die Norm, wer entscheidet, was richtig und was falsch ist? Harriet Jensen über Bodyshaming im Reitsport.

Die Optik des Körpers ist ein wirklich hochemotionales Thema, denn niemand wird gerne darauf reduziert. Die äußere Erscheinung eines Menschen geht niemand anderen etwas an, einzig und allein das eigene Wohlbefinden zählt. Trotzdem spielt Bodyshaming auch im Reitsport immer wieder eine Rolle.

Der Reitsport ist ein ästhetischer Sport, das Gesamtbild von Pferd und Reiter muss stimmen. Das ist eine Aussage, die man vielleicht schon einmal gehört hat. Doch wer entscheidet eigentlich, was ästhetisch ist, und was nicht? Unser Reitsport ist ein Sport, den wir nur dank eines anderen Lebewesens ausüben können. Den Pferden verdanken wir es, dass wir uns überhaupt Reitsportler nennen dürfen, denn sie dulden uns auf ihrem Rücken.

Zu schwer zum Reiten: Bodyshaming oder Tierschutz?

Deswegen ist es auch unsere Pflicht, in jeder Hinsicht auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Tiere Acht zu geben. Deswegen ist es natürlich auch wichtig, dass wir nicht zu viel Gewicht auf den Rücken des Pferdes bringen – denn es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die belegen, dass das kurz- oder langfristige Schäden bei Pferden hervorrufen kann.

Doch unabhängig von einer tierschutzrelevanten Betrachtungsweise ist es völlig irrelevant, ob eine Person klein, groß, rund, muskulös oder schlank ist. Vor allem für die Pferde zählen die optischen Aspekte in keiner Weise. Ihnen fällt nicht auf, ob man zu- oder abgenommen hat, den Pferden ist nur wichtig, wie man mit ihnen umgeht.

Frau führt Pferd
Foto: pixabay.com/JillWellington

Deswegen ist es umso unverständlicher, dass viele Reitsportunternehmen bis heute einige Kleidergrößen nicht in ihrem Sortiment führen. Reithosen beispielsweise sind nicht nur dazu da, um im Sattel getragen zu werden. Kleidungsstücke wie Reithosen sind auf gewisse Weise eine Art Uniform und unterbewusst fühlt man sich einer Gruppe von Menschen automatisch zugehörig, wenn man diese trägt.

Außerdem sind sie – wenn sie gut gemacht sind – richtig gemütlich und für die Stunden im Stall wie gemacht. Robust, eng anliegend, elastischer Stoff. Viele Menschen ziehen automatisch ihre Reithosen an, wenn sie in den Reitstall fahren, selbst dann, wenn sie nicht geplant haben, auf das Pferd zu steigen.

Verweigert man Menschen also nur aufgrund ihrer Kleidergröße gewisse Ausrüstungsgegenstände im Reitsport, dann schließt man sie automatisch komplett aus.

Welche Rolle spielt Social Media?

Schwierig wird es vor allem dann, wenn das Pferd als Ausrede genutzt wird. Denn leider sieht man viel zu häufig auf Social Media, wie Frauen andere Frauen nieder machen, gerade, wenn es um einen größeren Körperumfang geht. Bei Männern, die meist größer und schwerer sind, gibt es den Aufschrei jedoch nicht, dabei wiegen die teilweise aufgrund der Größe genau so viel, wie eine kleinere Frau mit einer größeren Kleidergröße.

In einer Welt voller Hochglanzbilder und retouchierten Fotografien ist es nicht ganz einfach, auf seine eigenen Gefühle zu hören, weil einem ständig aufgezeigt wird, wie man – angeblich – zu sein hat. Die Industrie und die Gesellschaft legen einen Standard fest, der als normal angesehen wird. Alles, was davon abweicht, ist nicht normal – sonst würde man doch viel mehr Vielfalt in den Katalogen und Werbeanzeigen sehen.

Bodyshaming: Frau kuschelt mit Pferd
Foto: unsplash.com/Donald Giannatti

Doch seien wir mal ehrlich: es gibt nicht das eine Normal. Es gibt tausend Facetten von einem normalen Körper – denn das, was für uns als individuelle Person normal ist, ist unser eigener Standard. Den können nur wir erfüllen und niemand anderes muss sich in unserer Haut wohl fühlen. Das müssen nur wir selbst.

Das ist der Standard, der erstrebenswert wäre: Akzeptanz, dass die eigene Norm und das persönliche Idealbild nicht automatisch auf alle anderen übertragbar sind. Wenn wir das verstanden haben, sind wir schon einen großen Schritt weiter, niemanden aufgrund von oberflächlichen Meinungen bewusst oder unbewusst auszugrenzen.

Mehr dazu im Podcast

Welche Erfahrungen sie selbst mit Bodyshaming im Reitsport gemacht hat und warum das so belastend war, das verrät pferde.de-Expertin Harriet Jensen in dieser Folge von „Pet-Talks: Pferd“.

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