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Wie Investoren mal eben kurz die Welt retten

Mitarbeiter mit Handicap – und besonderen Fähigkeiten: Die Berliner Firma Auticon beschäftigt ausschließlich Menschen mit Autismus als Berater im IT-Bereich Mitarbeiter mit Handicap – und besonderen Fähigkeiten: Die Berliner Firma Auticon beschäftigt ausschließlich Menschen mit Autismus als Berater im IT-Bereich
Mitarbeiter mit Handicap – und besonderen Fähigkeiten: Die Berliner Firma Auticon beschäftigt ausschließlich Menschen mit Autismus als Berater im IT-Bereich
Quelle: Raphael Huenerfauth/photothek.net
Geldverdienen und soziales Engagement schließen sich nicht aus, versprechen neue Beteiligungsfonds. Der Ansatz kann funktionieren – ist aber nur für ganz bestimmte gesellschaftliche Probleme geeignet.
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Auticon. Mit diesem Firmennamen fällt man nicht weiter auf in der IT-Branche. Und auch nicht mit Sätzen wie: „Die besonderen Fähigkeiten unserer Consultants sind Ihr Nutzen in der Qualitätssicherung.“ Doch hinter dieser Werbebotschaft wie von der Stange verbirgt sich ein Unternehmen, das alles andere als gewöhnlich ist.

Denn die „besonderen Fähigkeiten“ der Firma für Softwartetests beruhen auf Autisten. Menschen mit dem sogenannten Asperger-Syndrom tun sich äußerst schwer mit Kommunikation und Kontakt. Doch sie haben oft andere Stärken, können sich in enormem Maße konzentrieren, kleinste Details erkennen, haben teilweise ein fotografisches Gedächtnis. Und finden meistens dennoch keinen Job.

Die Idee, die besonderen Fähigkeiten von Menschen mit Autismus zu nutzen, hatten schon viele. Und so mancher hat bereits versucht, genug Geld für den Start eines solchen Projekts einzusammeln. Geschafft hat es schließlich Dirk Müller-Remus, der Auticon-Gründer. Weil er nicht auf Spender setzte. Sondern auf Menschen wie Stephen Brenninkmeijer.

Der gehört zu der vermögenden Familie, die unter anderem den Textilkaufhaus-Konzern C&A kontrolliert. Und ist ein bekannter Finanzierer sozialer Projekte. Doch wenn Brenninkmeijer darüber spricht, hört er sich nicht an wie ein Gutmensch. Eher wie ein Erzkapitalist: „Natürlich geht es um einen gesellschaftlichen Nutzen“, sagt er. „Aber ich erwarte auch eine Rendite für mein Investment.“

Sozialprojekte als unternehmerische Aufgabe

Was nach einem eklatanten Widerspruch klingt, ist Ausdruck eines Ansatzes, der in Deutschland gerade erst in den Anfängen steckt. Sozialprojekte als unternehmerische Aufgabe. Gutes tun nicht in Form von Spenden, sondern in Form von Investitionen.

Sie fließen inzwischen auch über Fonds, die ähnlich organisiert sind wie die hierzulande als Heuschrecken verschrienen Private-Equity-Gesellschaften. Und die obendrein auch noch häufig von Finanzmanagern geführt werden, die früher kommerzielle Firmenjäger waren.

Als Pioniere in Deutschland gelten BonVenture, unter anderem Financier des DialogMuseums zur Integration blinder Menschen, und der jüngere Social Venture Fund, der Auticon finanziert. Gut sieben Millionen Euro liegen darin, investiert von vermögenden Privatleuten oder Familienunternehmern. Menschen wie Brenninkmeijer. „Ich glaube, dass das ‚harte Geld‘, das ich investiere, den Sozialunternehmer weiterbringt statt ‚weiches Geld‘ in Form einer Spende“, sagt er.

Seine Logik: Wenn seine Investitionen in soziale Projekte verzinst werden, kann er anschließend noch mehr Geld ins nächste Projekt investieren. Anders gesagt: Mit einer Spende kann Brenninkmeijer einmal Gutes tun – mit einer Investition, die mit Rendite zurückgezahlt wird, immer und immer wieder.

Geschenk auf Zeit

Und so werden Fördersummen möglich, von denen soziale Vorhaben sonst nur träumen können. „Sammeln Sie mal eine halbe Million Euro Spenden ein für ein Projekt, das sich erst im Ideenstadium befindet – das wird kaum gelingen“, sagt Johannes Weber, Gründer und Geschäftsführer des Social Venture Funds.

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Sein erster Fonds hat seit der Gründung im Jahr 2011 bisher fünf Unternehmen finanziert. Dazu gehören ein Anbieter von technischen Hilfen für Hörgeschädigte oder auch die Spendenplattform „Deutschland rundet auf“. Ein zweiter Fonds ist derzeit in der Vorbereitung.

Das Geld gibt es freilich nicht umsonst. Es ist ein Geschenk auf Zeit. Der Fonds ist auf zehn bis zwölf Jahre angelegt, spätestens dann sollen die Mittel an die Investoren zurückgeflossen sein – mit drei bis fünf Prozent Rendite.

Die Sozialunternehmer sind also gezwungen, eigene Einnahmen zu erzielen – genug, um ihre Kosten zu decken und schließlich auch die Investoren auszuzahlen. Einnahmen erzielen sie durch Geschäftsumsätze wie bei Auticon, aber auch aus Sozialkassen, die für bestimmte Dienstleistungen zahlen.

„Eine Spende ist für den Empfänger zunächst einmal bequemer“, räumt der Finanzfachmann Thomas Jetter ein. Dafür müsse man Spenden immer wieder neu einwerben, und bei so manchem sozialen Projekt verschlingt das Geldsammeln schnell 70 Prozent der Arbeitszeit der Macher. Es sei daher im Interesse eines sozialen Vorhabens, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, also genug Geld zu verdienen, um sich selbst zu tragen. Die nötige Anschubfinanzierung zu geben, das ist die Idee des Sozialfonds.

Unternehmer und kommerzieller Gründer

Wer sich auf diesen Weg einlässt, muss sich darauf einstellen, dass er ebenso Unternehmer sein muss wie ein kommerzieller Gründer. „Ein Spender will in der Regel nicht mehr viel mitreden, nachdem er sein Geld gegeben hat – das ist bei einem Investor natürlich anders“, sagt Jetter.

Er weiß, wovon er spricht. Er war lange einer der führenden Köpfe des Finanzinvestors Permira in Deutschland, hat unter anderem Chemieunternehmen auf Rendite getrimmt, um die mit erheblichen Schulden finanzierten Firmenkäufe zu refinanzieren.

Was zunächst oft in eine Rosskur ausartet, sei langfristig im Sinne der jeweiligen Unternehmen, argumentiert Jetter. Er sieht daher keinen Bruch zwischen seinem früheren Leben und seiner Unterstützung für den Social Venture Fund, in dessen Investmentkomitee er sitzt.

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Da gibt es bei manchem Initiator einer sozialen Idee Vorbehalte. „Natürlich gibt es die Angst, erst ausgequetscht und dann fallen gelassen zu werden“, gibt Fondsgründer Weber zu. Die größte Herausforderung sei, die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und gesellschaftlichem Nutzen zu wahren. „Die soziale DNA unserer Unternehmen ist nicht verhandelbar“, betont er.

Auch die Finanzkonstruktionen unterscheiden sich vom kommerziellen Private Equity. So hebelt der Sozialfonds seine Investitionen nicht mit Krediten – was zwar die Rendite erheblich steigern, das Zielunternehmen aber auch in den Ruin treiben könnte. Außerdem ist Webers Fonds in der Regel nicht darauf aus, seine Anteile an einem Unternehmen auf einen Schlag per Weiterverkauf oder Börsengang wieder abzustoßen. Stattdessen zahlen die Firmen die Investments nach und nach aus ihren Überschüssen zurück.

Gegen Rendite ist nichts einzuwenden

Geldverdienen und Gutes tun, das klingt nach Schönfärberei. Und in manchen Fällen ist es das wohl auch. „Natürlich kann es einen Zielkonflikt geben zwischen höherer Rendite und höherem sozialem Effekt“, sagt Stephan Breidenbach, Mitgründer der Berliner Hochschule Humboldt-Viadrina, die „Sozialunternehmer“ ausbildet.

Zumal die Diskussion um die richtigen Maßstäbe dafür, wann ein Unternehmen sozial ist, noch nicht abgeschlossen sei. „Entscheidend ist ein Aufsichtsgremium, dem man es zutraut, darüber zu wachen, dass die sozialen Kriterien eingehalten werden“, sagt Breidenbach. Wenn das gegeben sei, spreche auch nichts gegen eine gewisse Rendite für die Geldgeber.

Entscheidend sei aber, dass diese Ansprüche moderat bleiben, glaubt Markus Beckmann, der in Lüneburg Deutschlands erster Professor für Social Entrepreneurship war und jetzt in Erlangen lehrt. „Falls der Eindruck entsteht, dass man mit nur geringen Renditeabstrichen die Welt retten kann, dann wird es kritisch. Dann drohen ernsthafte Interessenkonflikte“, warnt er.

Außerdem müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, Sozialunternehmen könnten jedes gesellschaftliche Problem beseitigen, ohne dass es Steuer- oder Spendengeld kostet. Schließlich funktioniere keines dieser Unternehmen ohne Einnahmen. „Bei einem Projekt für Missbrauchsopfer wird man aber nicht die Missbrauchten selbst zahlen lassen wollen. So etwas lässt sich nur unternehmerisch organisieren, wenn der Staat für die sozialen Leistungen bezahlt“, sagt Beckmann.

Auch kurzfristige Notlagen, etwa nach Naturkatastrophen, ließen sich nur mit Spenden überbrücken. „Wenn man dagegen Strukturprobleme längerfristig lösen will, sind Spenden weniger geeignet, weil sie per se nur kurzfristig wirken. Hier kommen die unternehmerischen Ansätze ins Spiel.“ Gerade in Großbritannien und den USA – nicht zufällig die Heimat kommerzieller Beteiligungsfonds – sei dieser Weg schon länger populär, sagt Beckmann.

Mikrofinanzierungen für Arme

„In Deutschland wird viel darüber diskutiert, ob sich soziales Engagement und Gewinnerzielung nicht ausschließen“, meint auch Fondsgründer Weber. „In England oder den USA führt man eine solche Diskussion schon lange nicht mehr, auch in der Schweiz nicht. Dort ist das sehr viel selbstverständlicher.“ In der Entwicklungshilfe ist das Prinzip unter „Venture Philanthropy“ schon seit Jahren ein Thema.

Auch Brenninkmeijer hat Geld in entsprechende Unternehmen in Südamerika oder Südasien investiert, etwa in Banken, die sich auf Mikrofinanzierungen für Arme spezialisiert haben. Dass einige dieser Projekte in Indien ins Gerede gekommen sind, weil sie Kunden in die Überschuldung trieben, spricht aus seiner Sicht nicht gegen das Prinzip – es habe in den entsprechenden Bundesstaaten schlicht an einer funktionierenden Bankenaufsicht gefehlt.

Die Macher des Social Venture Funds sehen großes Potenzial in Deutschland. 300 Sozialunternehmer stehen bei ihnen pro Jahr Schlange. „Es wäre absurd zu glauben, dass zwei Fonds mit 15 Millionen Euro schon den ganzen Bedarf abdecken“, sagt Weber. Er verweist auf Großbritannien: Dort hat der Staat einen Fonds namens „Big Society Capital“ mit einem Volumen von 600 Millionen Pfund initiiert, dessen Mittel in Sozialunternehmen fließen sollen.

Interessant könnte das Prinzip etwa für die mehr als 18.000 Stiftungen werden, die hierzulande rund 100 Milliarden Euro verwalten. Bisher legen sie Geld konventionell am Kapitalmarkt an, die Renditen werden gespendet. „Eigentlich ist das Schwachsinn“, echauffiert sich Weber. „Da habe ich als Stiftung einen großen Kuchen von 100 Millionen Euro zur Verfügung, den ich aber irgendwo anlegen muss – und nur die Zins-Krümel von vielleicht drei Millionen Euro pro Jahr kann ich sozial einsetzen.“ Wäre es da nicht der direktere Weg, das Stiftungsvermögen gleich in soziale Unternehmen zu investieren? Noch ist freilich juristisch umstritten, ob das mit dem Stiftungsrecht vereinbar wäre.

Doch ob sich die Idee der Sozialunternehmer durchsetzt, wird sich letztlich nicht juristisch entscheiden. Die Akzeptanz wird davon abhängen, ob es gelingt, die Balance zwischen Rendite und Gemeinnutz zu wahren: Ob sich Firmen wie Auticon lohnen, und zwar in zweifacher Hinsicht – sowohl für die Investoren als auch für die Gesellschaft.

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