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Viel Rauch um Makrele, Aal und Sprotte

Die Altonaer Öfen sind Relikte der Hamburger Räucher-Tradition

Hamburg hat kulinarisch gesehen eine traditionsreiche Vergangenheit. Ottensen hieß einst Kleinheringsdorf, als das Viertel noch das Zentrum der Fischräuchereien war, und der köstliche Duft nach frisch Geräuchertem tagtäglich durch die Straßen zog. In den Altonaer Öfen bekamen Makrele, Aal oder Heilbutt die typische goldgelbe Farbe und den unvergleichlichen Geschmack.

Das ist längst Geschichte. Mit dem Leben änderten sich nach dem Krieg auch die Eßgewohnheiten, und der Räucherfisch kam aus der Mode. 1982 schloß die letzte Räucherei in Ottensen. Eine Handvoll Betriebe hat die traditionsreiche Kultur des Räucherns allerdings bewahrt. Und die Genießer-Vereinigung Slowfood Hamburg hat den Fisch aus Altonaer Öfen in die Arche des Geschmacks aufgenommen, um die aussterbende Kultur zu bewahren.

Der Duft indes, den Liebhaber schätzen, macht heute nicht mehr jeden glücklich. Jens Kastner bringt seine Öfen deshalb auch erst in der Nacht zum Glühen. Ab 23 Uhr zieht der Geruch nach frisch Geräuchertem durch den Hof auf St. Pauli. Kastner ist einer der letzten Räuchermeister, der in Hamburg seine Öfen noch mit Buchen- oder Erlenholz befeuert. Der traditionelle Weg zum guten Geschmack, den Slowfood für unvergleichlich hält. Neue Altonaer Öfen werden heute wegen der Geruchsentwicklung so gut wie nicht mehr zugelassen. Eine Bürgerinitiative müßte den Hamburger Räucherfisch retten, hofft deshalb die Vereinigung.

Mehr als 100 Jahre verrichten die Öfen in der Großen Freiheit 70 jetzt schon ihren Dienst. Wie alt sie wirklich sind, das weiß selbst Räuchermeister Jens Kastner nicht. Die Altonaer Öfen sind um die Jahrhundertwende erfunden worden, gemauert und mit Eisentoren verschlossen. Über offenem Feuer entwickeln Forellen, Bücklinge und Aale ihren typischen Geschmack. Das Geschick des Räuchermeisters macht sie erst perfekt. Das traditionelle Räuchern erfordert Erfahrung. Anders als bei den modernen Anlagen, die computergesteuert und elektrisch sind, braucht jeder Fisch eine genaue Kontrolle.

Zuerst werden sie in Salzlake eingelegt, in langen Reihen aufgespießt und über Nacht getrocknet. Im Ofen trocknen sie dann richtig und garen anschließend, erst dann beginnt der eigentliche Räuchervorgang. Aale zum Beispiel brauchen höhere Temperaturen als andere Fische, weshalb der Räuchermeister genau darauf achten muß, wie hoch die Flammen schlagen. Schließlich werden Lüftungs- und Kaminklappen geschlossen, damit der Rauch sein Werk unter dem wachsamen Auge des Meisters vollenden kann. Der öffnet hin und wieder die Klappen, um zu prüfen, wann der Fisch sich von seiner besten Räucherseite zeigt.

Mehrere Stunden dauert das traditionelle Verfahren, drei bei der Heißräucherung und sogar zwölf, wenn kalt geräuchert wird. Jens Kastner ist in der Räucherei Steier bis fast in den frühen Morgen beschäftigt. Wer den frisch geräucherten Fisch dann probieren will, kann ihn an der Großen Elbstraße 133 bei Steier kaufen.

Die Räucherei ist wohl die letzte, die mitten im Zentrum der Stadt ihren Betrieb aufrecht erhält. Das traditionsreiche Haus Wilhelm Stöcken, siedelte von der Großen Brunnenstraße, wo das Unternehmen in den fünziger Jahren gegründet wurde, Richtung Bahrenfeld um. In Harburg räuchert noch ein weiterer Familienbetrieb nach alter Tradition. Und Kenner schwören, sie schmecken den Unterschied zwischen industriell hergestellter, maschinengeräucherter Ware und jener aus den historischen Altonaer Öfen.

Bei Stöcken erinnert allerdings zunächst nichts an traditionsreiche Zeiten. Ein zweckmäßiger Bau beherbergt die Räucherei. Aber die Gründerenkel Hartwig und Wilhelm Stöcken führen zwischen gekachelten Wänden die alte Tradition der Altonaer Öfen fort. Mit modernen Mitteln zwar wie einer Rauchgaswaschanlage, aber trotzdem mit der überlieferten Methode. Und die ist vom Aussterben bedroht. Als Hartwig sein Diplom machte, war er einer von nur noch zwei Fischwerker-Schülern.

Einst waren geräucherte Fische billig, der Bückling galt sogar als Armenfisch und sättigte vor allem die vielen Hamburger Arbeiterfamilien, die während der Saison in Altona schufteten. Vielleicht hat auch das den Räucherfisch aus der Mode kommen lassen.

Dennoch hat er bis heute eine treue Anhängerschar und wird noch immer in einigen renommierten Hamburger Restaurants mit hoher Achtung vor der Tradition zelebriert. Die Räucheraalfilets mit Kräuterrührei und geröstetem Vollkornbrot im Fischereihafen Restaurant sind zum Beispiel längst unverzichtbare Klassiker.

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