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Mit Seenotrettern Auf Der Nordsee Mann über Bord – mit Smartphone

Lars Reckermann

Hooksiel - Die „Vormann Steffens“ ist für Dirk Hennesen, Michael Schmitz, Gerd Eilers und Andreas Knoll mehr als ein Schiff. Der Seenotkreuzer, der das Tochterboot „Adele“ Huckepack trägt, ist für jeden der Männer zwei Wochen lang am Stück Arbeitsstätte und Wohnort.

Im Hafen von Hooksiel ist das 27,5 Meter lange Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) stationiert. Von dort aus bewacht die Crew um Vormann Dirk ihr Revier, das sich südlich in die Jade hinein bis nach Wilhelmshaven und nördlich an Wangerooge vorbei bis in die Deutsche Bucht hinein erstreckt.

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An diesem Tag Ende Mai sind drei Personen mehr an Bord: ein Team der NWZ. Es gibt auch einen Auftrag, zumindest für mich: ich gehe um 16 Uhr über Bord.

Live-Reportage aus Sicht des Geretteten, Bordtagebuch und Filmbeitrag vom Tag an Bord

Die Aufgaben sind klar verteilt. Die Vorleute Dirk und Michael stehen auf dem oberen Fahrstand und steuern das Schiff. Die Seekarte und den Horizont ständig im Blick. Die Maschinisten Gerd und Andreas haben die Technik im Blick. An Bord wird sich geduzt. Die Besatzung (insgesamt neun Männer, von denen jeweils vier gleichzeitig Dienst haben) kennt sowieso jedes Geheimnis von einander. Wer zwei Wochen am Stück auf dem Schiff gemeinsam isst, schläft und zuweilen lange Winternächte miteinander verbringt, muss als Team funktionieren. Die übrigen 14 Tage eines Arbeitsmonats geht es an Land zur Familie.

Der freundliche und kumpelhafte Umgang steckt an, auch so eine Landratte wie mich. Derweil meiner einer bei Windstärke 3 übers Deck schwankt wie nach einem Dutzend verlorener Bierwetten beim Frühtanz, fragt Michael, ob ich glaube, dass ein Ententeich im Park Seegang hat. Ich bejahe. Er lacht.

„Jetzt wird’s ernst“, sagt Seenotretter Dirk

Wir fahren um 8 Uhr morgens von Hooksiel nach Helgoland, um für kurze Zeit die dortige Station zu besetzen Um 14 Uhr geht es zurück. In der Außenjade soll ich über Bord gehen.

„Jetzt wird’s ernst“, sagt Dirk. Er hat den Überlebensanzug in der Hand. „Nur deine Schuhe ausziehen, nass wirst du darin nicht.“ Dirk und Gerd merken wohl, dass mir jetzt doch etwas flau wird. Ich brauche mehrere Anläufe um ins rechte Hosenbein zu schlüpfen. Da ich die Rettung vom Wasser aus filmen möchte, hantiere ich mehr mit der wasserdichten Hülle meines Smartphones herum, als mich auf das Anlegen des Anzugs und der Rettungsweste zu konzentrieren. „Du kannst ruhig mitarbeiten“, sagt Dirk. Selbst diese Worte flötet er mir in ruhiger Tonlage ins Ohr.

Andreas hat das Tochterboot „Adele“ zu Wasser gelassen. „Ist Adele nicht der schwäbische Gruß für Tschüss“, versucht mich der NWZ-Kameramann noch nervös zu machen. Muss er gar nicht, bin ich schon.

Gerd schlägt die engen Gummimanschetten an Händen und am Hals noch einmal um. „Das macht den Anzug wirklich wasserdicht.“ Ich muss noch einmal in die Knie gehen und die Luft aus dem Anzug pressen. Warum? Brauche ich nicht Luft, damit mich der Anzug über Wasser hält? „Wird er auch.“ Jedem anderen Menschen hätte ich einen Vogel gezeigt und wäre abgehauen. Hier an Bord weiß ich aber, dass die Männer der „Vormann Steffens“ ihren Job beherrschen. Und mal ehrlich: Es wäre ja wohl die denkbar schlechteste PR, wenn ich unter den Augen von gleich mehreren Seenotrettern absaufe.

Smartphone-Gaffer sind schwer zu retten

Dirk und Andreas fahren bereits im kleinen Tochterboot neben dem Seenotkreuzer. Ich wollte mich eigentlich vorsichtig in die Nordsee gleiten lassen und schaue dementsprechend skeptisch, als Gerd mich auffordert: „Los, spring!“ Wie jetzt? An Bord hüpfen oder ins Wasser springen? „Schon ins Wasser.“ Dirk und Andreas winken auch schon. „Nun mach’.“ Die Filmcrew grinst. Ich muss springen, um nicht als Drückeberger zu gelten. Das Handy um den Hals gehängt, schlucke ich prompt etwas Salzwasser. Die Rettungsweste bläst sich bei der Berührung mit Wasser sekundenschnell auf und quetscht mir die Wangen zusammen. Ich habe nur Augen für mein Handy und filme mein eigenes Unvermögen, des Badewannen-Seegangs Herr zu werden. Ich gebe den havarierten Reporter inklusive Livekommentierung. Der Anzug hält nicht nur meinen Kopf, sondern auch die Beine über Wasser. Die „Adele“ nähert sich. Ich winke und filme. Dirk versucht mich zu greifen. Einmal, zweimal, ich treibe ab. „Kannst auch ruhig zu uns paddeln“, ruft Andreas. Oha, wie denn mit nur einer freien Hand. Die Erkenntnis setzt sich schnell durch, dass Smartphone-Gaffer schwer zu retten sind. Ich lasse das Handy Handy sein und rudere mit den Händen Richtung Dirk. Der packt sich meinen linken Stiefel, dreht mich blitzschnell mit dem Kopf zu ihm, greift mir unter die Arme und wuchtet meinen 65 ... 70 ... okay, meinen 80-Kilo-Körper behände ins Boot. Ich liege auf dem Rücken – wie ein Käfer.

„Passt“, sagt Dirk. „Zurück zum Mutterschiff“, sagt Andreas. Wäre ich schwer verletzt gewesen, auf der „Vormann Steffens“ hätte ich umgehend medizinisch versorgt werden können. Was für ein Erlebnis an Bord des Seenotkreuzers „Vormann Steffens“. Oder wie es die Crew formulieren würde: „Dafür sind wir da.“

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