Oldenburg/Hamburg - Durch einen Stau ohnehin zeitlich im Verzug, drängelte ich zum Aufbruch. Wir wollten zu einer Lesung nach Oldenburg, ich durfte als alter Bekannter von Buchmessen und etlichen Telefonaten der Chauffeur, Begleiter und Moderator der Veranstaltung sein.

„Wir müssen doch noch Kaffeetrinken!“ Lenz winkte mit der Pfeife ins Wohnzimmer.

Seine Frau, damals war er noch mit Liselotte verheiratet, lächelte herzlich. Widerspruch war zwecklos. Wenn einer der größten Dichter einlädt, einer, der in seinen Romanen und Erzählungen immer ein Herz für die Zarten, Freundlichen hatte, lehnt man nicht ab. Der Tisch bog sich unter gekauften Tortenstückchen der größten Art. Eingeschenkt wurde dem Besucher, einem passionierten Teetrinker, der schwärzeste Kaffee, den es je gab.

Lenz und Frau qualmten ohne Unterlass. Schmeckts? Beide lächelten, es schmeckte. Natürlich. Oder leider. Denn es hatte auch schon eine Stunde zuvor gut geschmeckt, als der Besucher flott von der Autobahn in Hamburg Richtung Pizzeria abbog, voll in dem Gedanken: bei Lenz, mit dem man ja umgehend losfahren wollte, würde es nichts zu essen geben.

Das war die Fehleinschätzung des Lebens.

Schwarzer Kaffee wurde in riesige Tassen nachgeschenkt. Wir waren extra beim Bäcker, sagte Lieselotte Lenz, die eine wunderbare Zeichnerin und Künstlerin war und sich selbst in den Schatten immer zugunsten ihres Mannes zurücknahm. Es gibt einen Band, der Zeichnungen von ihr sammelt und zu dem Lenz einen wunderbaren Text geschrieben hat. Eine Rarität. Aber dieses Wissen half jetzt nicht im wunderschönen Altbau der Familie Lenz in Hamburg. Ein zweites Teil war fällig. Kuchen ohne Ende. Es versteht sich fast von selbst, das Herr und Frau Lenz keinen Kuchen nahmen. Wir haben schon gegessen. Der ist extra für Sie gekauft!

Das Gespräch kam zwischen den Happen auf Horst Janssen, den Oldenburger Zeichner, den Lenz verehrte. Ein Grafik von Janssen hing an der Wand. Lenz nuckelte gemütlich an seiner Pfeife, seine Frau steckte sich eine Zigarette an, mein Blutdruck stieg und leiseste Andeutungen, wir könnten langsam losfahren, wurden vollständigst ignoriert. Lenz erzählte vielmehr von seinen Anfängen bei der „Welt“. Fast aus Not oder weil er glaubte, er könne es genauso gut wie andere, hatte er angefangen, Geschichten zu schreiben.

Wir haben extra für Sie Kuchen gekauft, betonte Frau Lenz noch einmal, wie man etwas so hart betont, das Folgen haben muss. Die Folge war ein weiteres, dickes großes Stück auf dem Teller. Es sah wie gepresste Schwarzwälder Kirsch aus. Konnte aber auch Ananas-Sahne mit Erdbeeren sein. Es war ohnehin egal. Und der Kaffee wurde schwarz und immer schwärzer.

Die Szene löste sich absurderweise erst bei der Debatte um Regenwürmer auf. Lenz war ein passionierter Angler, hatte sogar mal in einem NDR-Film einen Angler gespielt. Da könnte man en passant den Aufbruch einläuten, noch einmal viel zu ausführlich durch den großen Garten gehen (ich schäle Ihnen schnell noch einen Apfel von unserem Baum – was dann gar nicht schnell war) und schließlich und endlich völlig befreit losfahren – um gleich um die Ecke in Othmarschen schon bei der Auffahrt auf die Autobahn in einen Megastau zu gelangen. Lenz lächelte, Frau Lenz saß ruhig da. Sie waren das liebste Ehepaar der Welt.

Nun hatte man Zeit und konnte viel erzählen und zart darauf hinarbeiten, dass Lenz doch nach der Lesung signieren sollte (was er hasste). Dass man mit dem Publikum diskutieren könnte (was er nicht mochte).

Eine halbe Stunde vor der Veranstaltung stand ich gestriegelt vorm Hotel. Alles würde gut werden. Lenz kam mir entgegen. Ich stutzte ein wenig, weil ihm im Winter der Mantel fehlte. Er lächelte. Wir essen noch ein Brot. Also zurück ins Hotel. Ins Restaurant, Brot bestellt. Nerven bewahren, Frau Lenz wollte selbstredend noch einen Kaffee, wie der Kaffee verrann die Zeit.

Lenz aß quälend langsam. Ich überlegte, ob es ein Gen gibt, das Dichter so verdammt ruhig werden ließ. Wir kamen schließlich nach einer Wahnsinnsfahrt eine Minute vor der Veranstaltungsbeginn an. Lenz ging schnurstracks zum Lesungstisch und las, wie sonst kein deutscher Dichter las: spannend, begeisternd, amüsant. Er machte das Beste, was ein Dichter tun konnte: Er unterhielt die Menschen, sie folgten ihm gebannt, keine Minute war verloren.

Am nächsten Tag wollte ich ihn nach Hamburg zurückfahren. Lenz lehnte ab. Wir wollten doch noch ausführlich essen. Dazu lächelte er.