Eine Studie der ersten Corona-Patienten in Deutschland hat bestätigt, was andere wissenschaftliche Untersuchungen bereits vermuten ließen: Menschen können das Virus Sars-CoV-2 auf ihre Mitmenschen übertragen, noch bevor sie selbst Symptome verspüren. Die Forschergruppe um Merle Böhmer vom bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Udo Buchholz vom Robert Koch-Institut und Victor Corman von der Berliner Charité untersuchte dazu den Ausbruch bei Webasto, einem Autozulieferer im Landkreis Starnberg bei München. (Hier die vollständige Veröffentlichung dazu als PDF.) Es war nicht die erste Untersuchung dieser Münchner Gruppe, wie die Patienten auch genannt werden. Aber die nun in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases veröffentlichte Studie versuchte, die genauen Infektionswege nachzuvollziehen, um zu verstehen, wie der Erreger übertragen wurde.

"Obwohl die Patienten in unserer Studie überwiegend milde, unspezifische Symptome aufwiesen, war die Infektiosität vor oder am Tag des Symptombeginns erheblich", schreiben die Autoren und Autorinnen. Auch haben sie beobachtet, dass die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen der Infektion und dem Ausbruch von Symptomen, mit vier Tagen kürzer war, als in anderen Untersuchungen bisher angenommen wurde.

Webasto hatte seine Mitarbeiter am 27. Januar darüber informiert, dass das Unternehmen wohl von Sars-CoV-2 betroffen sei, und umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um eine Ausbreitung zu verhindern. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, dass sich längst mehrere Kolleginnen und Kollegen damit angesteckt hatten und das Virus verbreiteten, ohne es zu bemerken. Die genaue Infektionskette konnte die Forschergruppe erst jetzt mithilfe von Befragungen, der Auswertung von Terminkalendern und genetischen Analysen des Virus in den genommenen Abstrichen nachvollziehen.

Schnell gehandelt und doch zu spät

Patientin Null, die Quelle des Ausbruchs bei Webasto, war eine Mitarbeiterin aus einer Niederlassung in Shanghai. Sie war am 20. Januar in München angekommen, um in der Firmenzentrale an Besprechungen teilzunehmen. Sie blieb zwei Tage. In dieser Zeit habe sie sich müde gefühlt und Brust- und Rückenschmerzen gehabt, das aber auf den Jetlag geschoben. Am 22. Januar flog sie zurück und ging, weil sie sich weiterhin unwohl fühlte und Fieber bekommen hatte, am 25. Januar in Shanghai zum Arzt. Am Tag darauf wurde sie positiv auf Sars-CoV-2 getestet und ins Krankenhaus gebracht. Am Morgen des 27. Januar wurde Webasto über die Infektion informiert.

Die Firma unterrichtete sofort die Gesundheitsbehörden. Es begann die Suche nach all jenen, die Kontakt zu Patientin Null gehabt hatten, und viele von ihnen wurden in Quarantäne geschickt oder nach positiven Tests ins Krankenhaus eingeliefert. Außerdem schloss die Firma ihre Zentrale. Doch das Virus kursierte zu diesem Zeitpunkt längst in der Belegschaft. Insgesamt 16 weitere Fälle wurden letztlich festgestellt und diese Infektionskette sagt einiges darüber aus, wie Corona sich verbreitet.

Patient Eins hatte sich während eines Meetings angesteckt. Patientin Null hatte am Montag, den 20. Januar, an ihrem ersten Tag in München, eine Besprechung mit drei Kollegen. Sie saßen für eine Stunde in einem kleinen Raum. Patient Eins saß dabei neben ihr, die beiden anderen saßen ihnen gegenüber an der anderen Seite des Tisches. Sie steckten sich nicht an. Patient Eins jedoch fühlte sich drei Tage nach diesem Treffen unwohl und bekam eine Halsentzündung. Am Wochenende kam auch noch leichtes Fieber dazu, aber am Montag ging es ihm besser. 

Da hatte er, ohne es zu ahnen, bereits einen weiteren Kollegen infiziert. Noch am Donnerstag hatte er mit einem Kollegen kurz gemeinsam an einem Computer gearbeitet, dabei infizierte sich dieser. Die Forscher nennen ihn Patient Drei. Patient Zwei war sich keines Kontaktes zu Infizierten bewusst, aber die genetische Analyse des Virus legt nahe, dass er sich ebenfalls bei Patientin Null angesteckt haben muss.